Aus‚ Lo Stato predatore („Der räuberische Staat“)
„Una civiltà cannibalesca“ („Eine kannibalische Zivilisation“)
Unsere Zivilisation, Rossi, um es auf den Punkt zu bringen, ist eine kannibalische. Ein Beispiel: wenn du in die Kirche gehst machst du ein Kreuzzeichen. Kaum hast du das Kreuzzeichen gemacht, hast du in deinem Körper das religiöse Konzept der Göttlichen Gleichgültigkeit in Gang gesetzt. Diese, mein Freund, lebt und ernährt sich von dir.
Ein anderes Bespiel: Wenn auf dem Exerzierplatz der Offizier seine Soldaten anbrüllt „Aaachtung!!“, schärfen alle, auch die, die in diesem Moment nur vorbeigehen, ohne Position einzunehmen, in sich das Konzept des Soldaten. Ihre Körper versteifen sich, sie sind von der militärischen Pflicht eingenommen. Sie ist ein Teil ihres Seins geworden. Um dieses Konzept zu verteidigen sind die Soldaten, wenn es nötig ist, auch bereit zu sterben. Sterben für wen? Sicher nicht für dich, Rossi, aber für diejenigen, die ihnen diese Idee in den Kopf gepflanzt haben: die Führer, die Hinterlistigen, die Tyrannen.
Man sagt, dass Charles Darwin den Glauben wegen eines Insekts verloren hat. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen“, schreibt er, „dass ein guter und allmächtiger Gott die Ichneumoniden (Schlupfwespen, Anm. d. Übers.) geschaffen hat, mit der ausdrücklichen Absicht, dass sich diese in einem lebendigen Körper weiden“.
Richard Dawkins, ‚Il Fiume della Vita“, Seite 97 (freie Übersetzung ins Deutsche, Anm. d. Übers.)
Darwin war tief beeindruckt, so beschreibt es Dawkins, von dieser grausamen Wirklichkeit der Natur.
Nun, dass was für die Ichneumoniden gilt, die sich in einem lebendigen Körper weiden, gilt auch für die parasitischen Ideen (damit es klar ist, Rossi, die religiösen Ideen und die politischen sind die im höchsten Grade parasitischen dieses Planeten). Auch sie ernähren sich also vom lebendigen Körper dessen, der sie beherbergt.
Wir sollten allerdings nicht die realen Parasiten mit den irrealen verwechseln. Das Insekt ist eine biologische Realität, physisch, es existiert. Die Idee ist eine abstrakte Realität, eine erdachte. Die Differenz zwischen diesen beiden ist enorm. Während das Insekt, der wirkliche Parasit, so geblieben ist, wie die Natur es gemacht hat und sich von dem ernährt was sein Körper braucht, genügt es der abstrakten, theoretischen, erdachten parasitischen Idee, die Symbol geworden ist, nie – sie hat nie genug. Die parasitische Idee ist von einer solchen Gefräßigkeit, dass sie nicht nur die Erde verschlingen könnte mit allen ihren Bewohnern, sondern auch das ganze Sonnensystem, die Milchstraße, das Universum!
Der Unterschied zwischen den Ideen der Menschen und den Vorgängen in der Natur ist immens. Die Natur handelt unbewusst, instinktiv, spontan, wie der homo habilis in seinen ersten Anfängen. In den habilis von heute, die der Schlaumeier, der Machiavellisten, der Listigen, ist es nicht mehr so. Diese sind ganz anderer Art, sie wissen ganz genau, dass sie sich vom Körper dessen ernähren, der sie beherbergt. Sie wissen, dass sie sich vom Schweiß und dem Blut der anderen ernähren: vom Schweiß und Blut derer, die arbeiten. So sind also die Ideen, am Anfang unschuldig und aus Zufall geboren, heute, lieber Freund, kannibalisch geworden!
L’uomo occidentale (‚Der westliche Mensch’)
Tausende und tausende Jahre Kultur, ihr sich Rühmen und ihr Triumph über die anderen Kreaturen haben den westlichen Menschen zu einer einzigen Besessenheit gebracht: sich auf Kosten der anderen zu bereichern. Alles Berechnung, tausendjährige List, raffen, betrügen und morden. Dank dieser glänzenden Welt, die sich als ‚ich betrüge oder werde betrogen“ gestaltet hat, muss einer schlauer sein als der andere, scheinheiliger, unerbittlicher und mitleidloser um zu überleben. Das Ziel des westlichen Menschen, während seines ganzen Dasein, ist die Art wie er seinen Nächsten beschwindeln, betrügen, ausnutzen und zu seinen Diensten benutzen kann.
Diese Art Mensch ist besessen vom Wahn der Macht und des Reichtums. Dieser Mensch fühlt sich nur dann ‚Jemand’ wenn er Geld auf der Bank hat. Mit seinen Penunzen kauft er sich alles: Liebe, das heißt die der Huren; die Freunde, das heißt die der Schmarotzer; die politischen Gefährten, das heißt die der ‚Wetterfahne’; den Genuss, das heißt die Illusion gut zu leben.
Und nicht nur das. Er muss immer sein Auto wechseln, immer aktuell gekleidet sein, muss Häuser und Wohnungen in seinem eigenen Land und im Ausland besitzen … die Menschlichkeit, der brüderliche Sinn sind nicht seine Vorzüge. Sein Ziel des Lebens, das nicht von seinem Kopf ausgeht sondern vom Magen aus abwärts, befindet sich, mit einem Wort, in seinem Arsch. Bei ihm wohnt tatsächlich alles in seinem ausladenden Hintern
Letztlich hat er ja auch Recht, denn schließlich: Für was braucht ein Dummkopf Menschlichkeit, Solidarität, Brüderlichkeitssinn? Für nichts. Für einen Dummkopf genügt seine eigene Dummheit und seine ist of course, ein besondere: die des Opfers von Barbaren, die sich in ihrer Macht sonnen.